Mehr Orientierung bei der Eigenschaftsbeschreibung

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Kurzfaserverstärkte Thermoplaste sind im Vergleich zu ihren kontinuierlich faserverstärkten Verwandten nicht nur erheblich kostengünstiger, sondern lassen sich auch automatisiert und in sehr großen Stückzahlen effizient zu Bauteilen mit komplexen Geometrien verarbeiten. Die mechanischen Eigenschaften haben das Potenzial, metallische Bauteile z.B. im Fahrzeugbau zu substituieren. Um den Werkstoff für höherwertige Anwendungen voll nutzen zu können, ist die Kenntnis der mechanischen Eigenschaften essentiell. Trotz der kurzen Verstärkungsfasern sind die Eigenschaften ausgeprägt anisotrop. Im Gegensatz zu kontinuierlich faserverstärkten Kunststoffen liegen die Fasern jedoch nicht allein von der Konstruktion vorgegebenen Richtungen vor, sondern weisen eine statistische Orientierungsverteilung auf, die im Wesentlichen von den Strömungsbedingungen der Kunststoffschmelze im Fertigungsprozess abhängig ist. Dies wiederum bedingt, dass im Bauteil ortsabhängig sowohl unterschiedliche Vorzugsorientierungen als auch unterschiedlich starke Ausprägungen dieser Vorzugsorientierungen vorliegen. Abbildung 1 zeigt beispielhaft einen tomographischen Schnitt durch eine spritzgegossene Platte, bei dem eine bevorzugte Ausrichtung der Fasern in Spritzgussrichtung in den Randschichten und senkrecht dazu in der Kernschicht zu erkennen ist. Die Richtung und Ausprägung der Faserorientierung im Raum kann durch Orientierungstensoren beschrieben werden.

Bei der Dimensionierung von Bauteilen aus kurzfaserverstärkten Thermoplasten für strukturell beanspruchte Bauteile ist es erforderlich, die anisotropen Eigenschaften des Werkstoffs zu kennen. Da sowohl die Faservorzugsorientierung als auch die statistische Ausprägung der Faserorientierung die mechanischen Eigenschaften bestimmen, reicht eine rein experimentelle Ermittlung von Kennwerten in unterschiedlichen Richtungen nicht aus. Hinzu kommt, dass das geprüfte Probenmaterial selbst eine vorgegebene Mikrostruktur aufweist, die die Eigenschaften bestimmt. Daher ist die Ermittlung analytischer Zusammenhänge erforderlich, die die Eigenschaften in Abhängigkeit von Faservorzugsorientierung, Ausprägung der Faserorientierung und eventuell der Faserlängenverteilung beschreiben. Weitere Abhängigkeiten ergeben sich aus dem Einfluss von Temperatur- und Feuchte.

In einer aktuellen Studie wurde eine Methode entwickelt, mit der zunächst die Werkstoffsteifigkeit (E-Modul), basierend auf wenigen Zugversuchen und lokaler Faserorientierungsverteilungen, bestimmt werden kann. [1] Experimentell kann der Faserorientierungstensor durch Computertomographie ermittelt werden. In der Bauteilentwicklung bietet sich hingegen eine Ermittlung der lokalen Faserorientierungstensoren durch eine vorgeschaltete Prozesssimulation an. Durch ein Mapping der Werkstoffsteifigkeiten als Funktion der lokalen Eigenwerte der Orientierungstensoren kann so eine genaue Spannungs- und Verformungsanalyse des Bauteils durchgeführt werden. Exemplarisch ist in Abbildung 2 die Abhängigkeit des E-Moduls vom richtungsrelevanten Eigenwert des Orientierungstensors für 30 Gew.-% glasfaserverstärktes Polyamid 46 bei -20°C dargestellt.

[1] Hausmann, J., Schmidt, S. and Esha, (2023), Improved Mean Value-Amplitude Method for Determination of Orientation-Dependent Modulus of Short Fiber-Reinforced Thermoplastics. Adv. Eng. Mater. 2300221. https://doi.org/10.1002/adem.202300221

Esha, M.Sc.
Wiss. Mitarbeiter
Ermüdung & Lebensdaueranalyse
Telefon: +49 (0) 631/2017-139
E-Mail: esha@ivw.uni-kl.de

Stefan Schmidt, M.Eng.
Wiss. Mitarbeiter
Mechanische Charakterisierung & Modellierung
Telefon: +49 (0) 631/2017-274
E-Mail: stefan.schmidt@ivw.uni-kl.de

Kern-Rand-Mikrostruktur einer spritzgegossenen Platte (t=3 mm) ermittelt durch µ-Computertomographie. Die Farben kennzeichnen den Faserwinkel relativ zur Spritzgussrichtung. [1]

Zusammenhang zwischen E-Modul und den Eigenwerten λ des Faserorientierungstensors in Lastrichtung. Experimentell – Ergebnisse aus Zugversuchen; Lagenweise, analytisch –entwickelte Mittelwert-Amplitudenmethode