Lasttragende Leichtbaustrukturen durch hybriden Spritzguss

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Hybride, thermoplastische Faserverbundwerkstoffe können dem Anspruch einer kostengünstigen und großserientauglichen Produktion von hochinnovativen Leichtbaulösungen gerecht werden. Entscheidend hierfür sind die Eigenschaften von thermoplastischen Polymeren gegenüber den duroplastischen Varianten. Zu den Vorteilen von Thermoplasten zählen die Verarbeitbarkeit mit kurzen Zykluszeiten, die Aufschmelzbarkeit und die Recyclingfähigkeit. Hierdurch ergeben sich neue Wege der Verarbeitung unter anderem in hochautomatisierten wirtschaftlichen Spritzgussprozessen.

Das Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) in Kaiserslautern kann auf 30 Jahre Know-how im Bereich der Faserverbundwerkstoffe aufbauen und erweitert konsequent sein Forschungsportfolio. Die Entwicklung der Organoblech- und Umformtechnologie, das in-situ Konsolidieren beim Thermoplasttapelegen und die Induktionsschweiß-technologie sind einige Beispiele für das Langzeitengagement des IVW. Um bestehende Lücken in der umsatzstarken Automobilindustrie mit ihren technologisch und ökonomisch anspruchsvollen Rahmenbedingungen abzudecken, wird die Verarbeitung von hybriden Spritzgussbauteilen für Strukturkomponenten vorangetrieben. Hierfür hat das IVW seinen Maschinenpark um eine neue Spritzgussmaschine (Engel Victory 400, siehe Abbildung 1) mit Infrarotheizofen und Automatisierungstechnik, wie Mehrachsenrobotern, erweitert.

Im laufenden Forschungsprojekt pro-TPC-Struktur werden Materialauswahl und -charakterisierung, Berechnung, Fertigung und Qualitätskontrolle von hybriden Spritzgussbauteilen untersucht, verifiziert und validiert. Dies umfasst die Herstellung eines Demonstratorbauteils, welches 1:1 das konventionell hergestellte Strukturbauteil im Automobilbau ersetzen soll. Dabei handelt es sich um eine Koppelstange (vgl. Abbildung. 2), ein weit verbreitetes Strukturbauteil, das Lenkbewegungen in die Radlagersitze oder Ein‑/Ausfederwege in einen Stabilisator leitet. Kennzeichnend für das Bauteil sind statische und schwingende Zug‑/Drucklastfälle.

Weitere Ziele des Projekts pro-TPC-Struktur sind -neben dem technischen Kunststoff Polyamid 6 (PA6) - Hochleistungskunststoffe wie Polyetheretherketon (PEEK) zu verarbeiten und eine Produktion ohne Produktionsabfälle mit kurzen Taktzeiten (< 1 min) umzusetzen. Außerdem eine geschlossene Simulationskette mit Topologieoptimierung in die Fertigung zu integrieren. Da ein Großserieneinsatz angestrebt wird, muss eine vollständige Inline-Prozesskontrolle entwickelt werden, welche vor- bzw. nachgelagerte Arbeitsschritte überwacht. Die gewonnenen Daten können anschließend zur intelligenten Datenanalyse genutzt werden.

Die erstaunlichen Eigenschaften von Faserverbundbauteilen resultieren aus der Kombination von Fasern und Matrix. Im hybriden Spritzguss werden geschnittene Kurzfasern mit Halbzeugen aus Endlosfasern, jeweils eingebettet in thermoplastischer Matrix, kombiniert. Hierbei weisen beide Werkstoffe unterschiedlichste Eigenschaften auf und führen vor Augen, welche Potenziale hybride Werkstoffe besitzen. Der hybride Spritzguss bietet eine einzigartige Möglichkeit, durch einen Prozessschritt komplizierte und hochbelastbare Strukturen wirtschaftlich herzustellen. Weit verbreitet ist der folgende Prozessablauf:

Herstellen eines Einlegers in einem vorgelagerten Prozess. Dieser wird anschließend über Automatisierungstechnik in einen Infrarotofen zum Aufwärmen befördert. Nach dem Aufschmelzen der Matrix wird der Einleger in die Spritzgusskavität transportiert und dort durch Anspritzen funktionalisiert.

Aus diesem Prozess resultieren folgende Herausforderungen:

  • Mehrfache Transportwege und Zwischenschritte
  • Handling von sehr heißen und biegeschlaffen Einlegern
  • Komplexe Temperaturführung bei komplizierten Einlegergeometrien
  • Kritische Abkühlung des Bauteils beim Transport zur Spritzgussmaschine
  • Mäßiger Stoffschluss zwischen Einleger und Spritzgussmasse
  • Fixierung der biegeschlaffen Einleger in der Spritzgusskavität

Um eine innovative, wirtschaftlichere Fertigung zu realisieren, wird im Projekt pro-TPC-Struktur eine neuartige Strategie verfolgt: Beim Herstellen der Einleger (z.B. im Thermoplasttapelegen) wird die Oberfläche modifiziert, sodass eine feste Verbindung zwischen Einleger und Spritzgussmasse während des Spritzgussprozesses resultiert. Es wird ein kalter und damit steifer Einleger geschaffen, der sowohl den Aufheizprozess ausspart als auch sehr gut zu transportieren ist. In der Spritzgusskavität ist durch die höhere Steifigkeit ein allseitiges Umspritzen der Einleger möglich. Es entstehen optisch ansprechende Oberflächen, welche eine zusätzliche Stützwirkung gegen Knicken ausbilden.

Das Projekt „pro-TPC-Struktur“ steht für einen innovativen und wirtschaftlicheren Weg, hybride Spritgussbauteile herzustellen und wird von der Europäischen Union aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinlad-Pfalz für 3 Jahre gefördert.

Kontakt:
M.Sc. Alexander Nuhn/Dr.-Ing. Jens Schlimbach
Institut für Verbundwerkstoffe GmbH
Erwin-Schrödinger-Straße 58
67663 Kaiserslautern
Tel.: +49 631 2017 117 / +49 631 2017 312
E-Mail: alexander.nuhn@ivw.uni-kl.de / jens.schlimbach@ivw.uni-kl.de

Abbildung 1 Spritzgussmaschine Engel Victory 400 des IVW

Abbildung 2 Konventionelle Koppelstange [Quelle: autoteiledirekt.de]