Thermoplastische Großbauteile für Strukturanwendungen im Flugzeugbau

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Der Konkurrenzkampf zwischen Metallbauweisen und innovativen Faserkunststoffverbund (FKV)-Bauweisen in der Luftfahrtindustrie geht in die nächste Runde.  Für Strukturbauteile werden kohlenstofffaserverstärkte Thermoplaste als die Materialklasse der Zukunft gesehen. Denn entgegen der inzwischen etablierten Prozessroute der Autoklavkonsolidierung vorimprägnierter, duroplastischer Halbzeuge, die heutzutage noch überwiegend für große Strukturen wie Rumpfaußenhaut, Flügelschalen und deren strukturelle Versteifungen angewendet wird, sollen sogenannte out-of-Autoclave (ooA)-Prozesse von thermoplastischen Halbzeugen zu drastischen Kosteneinsparungen führen. Thermoplaste härten nicht wie Duroplaste unter der Einwirkung von Wärme durch chemische Vernetzungsprozesse aus, sondern erstarren in ihrer Form durch bloßes Abkühlen aus dem schmelzflüssigen Bereich heraus. Dieser Prozess ist reversibel, weshalb Thermoplaste nahezu beliebig oft umgeformt und gefügt werden können.

Stoffschlüssige Verbindungen zwischen zwei zu fügenden Bauteilen können durch Herbeiführen einer Polymerdiffusion erzeugt werden, wodurch neue Möglichkeiten in der Verarbeitung und in der Fertigung entstehen. Neben Schweißverbindungen können Co-Konsolidierungen, das heißt Konsolidierungen zweier Bauteile bei gleichzeitiger Erzeugung eines Stoffschlusses zwischen beiden Fügepartnern, realisiert werden. Letztendlich ist es somit möglich, Integralbauteile herzustellen und Montageaufwände durch den Wegfall von formschlüssigen Fügeelementen zu vereinfachen. Da Thermoplaste für eine nahezu unbegrenzte Zeit bei Raumtemperatur gelagert werden können, entfällt die für duroplastische PrePregs aufwändige Kühlkette vollständig.

Bislang findet die Werkstoffgruppe hauptsächlich Anwendung für kleinere Bauteile in der Primärstruktur (Spant- und Stringerversteifungen beim AIRBUS A350 XWB), die im Stamp-Forming Verfahren hergestellt werden. Aktuelle Bestrebungen in der Forschung zielen darauf ab, auch großflächige Rumpfstrukturen und Flügelschalen aus kohlenstofffaserverstärkten Thermoplasten zu fertigen. Die Vorteile, die dabei genutzt werden sollen, sind vielfältig.

Von großer Bedeutung ist eine mögliche Gewichtseinsparung, die u. a. damit begründet wird, dass die größere Zähigkeit von thermoplastischen Kunststoffen einen größeren Widerstand gegenüber Rissausbreitung bietet und somit dünnere Laminate zum Einsatz kommen können. Zudem erfüllen Hochleistungs-Thermoplaste luftfahrtspezifische FST (Fire/Smoke/Toxicity)-Anforderungen, was sie in Verbindung mit ihrer Chemikalienresistenz für den Einsatz in Passagierflugzeugen prädestiniert. Außerdem birgt das reversible Umformverhalten von thermoplastischen Halbzeugen großes Potenzial zum Recycling von End-Of-Life Bauteilen.

In Kooperation mit dem Zulieferer für Flugstrukturen Premium Aerotec GmbH (PAG) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Augsburg ist es dem Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) gelungen, ein großes Strukturbauteil aus thermoplastischem Kunststoff zu fertigen. So wurden im Thermoformverfahren aus kohlenstofffaserverstärkten Polyether-Ether-Keton (PEEK) Organoblechen Druckkalottensegmente des AIRBUS A320 im Maßstab 1:1 hergestellt (siehe Abbildung 1). Die Herausforderung liegt vor allem darin, die mit 1,5 m Kantenlänge großen Halbzeuge faltenfrei in das zweifach gekrümmte Formwerkzeug zu drapieren. Dazu wurde ein System entwickelt, das eine konstante Materialnachführung während der Umformung ermöglicht und somit Faltenbildung und Verzug unterbindet. Im Vergleich zur aktuellen Aluminiumbauweise bringt die CFK-Variante bei gleichen mechanischen Eigenschaften weniger Gewicht auf die Waage. Zudem ist die Produktion durch die Realisierung kürzerer Zykluszeiten wirtschaftlich effizienter.

Ein weiteres Forschungsprojekt, das sich mit der Thematik Großbauteile für strukturelle Anwendungen mit thermoplastischer Matrix befasst und in einem Konsortium bestehend aus dem IVW, der PAG, der Fraunhofer-Einrichtung für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik (IGCV), der Automotive Center Südwestfalen GmbH (ACS) und dem Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) bearbeitet wird, trägt den Namen „OSFIT“ (One-Shot Fully Intgrated Thermoplastic Frame) und zielt darauf ab, eine Prozesskette für die Herstellung thermoplastischer Integralspante zu entwickeln. Durch die Kombination der Prozesse Tapelegen, Thermoformen und Co-Konsolidieren erfolgt eine wirkungsvolle Ausschöpfung des Potenzials von Thermoplasten. So werden thermoplastische Tapes im Automated-Fiber-Placement Verfahren zu 2D-Preforms verarbeitet, vorkonfektioniert und abschließend in einem innovativen One-Shot Verfahren in Endgeometrie gebracht, wobei mittels Co-Konsolidierungsprozess mit Versteifungselementen die Integralbauteile in einem Schritt entstehen. Der Thermoformprozess inklusive dem Fügeschritt von Versteifungselementen zur Herstellung der Integralspante ist in Abbildung 2 schematisch dargestellt.

Die größte Herausforderung bei ooA-Prozessen zur Fertigung großer, thermoplastischer Strukturen ist die Prozessrobustheit im Sinne der Laminatqualität. Neben der Automatisierung der Herstellungsprozesse ist dies Hauptbestandteil der aktuellen Forschung.

Das Forschungsprojekt OSFIT (One-Shot Fully Integrated Thermoplastic Frame) wird durch das BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) im Rahmen von LuFo-V-3 gefördert (Förderkennzeichen 20W1706C).

Weitere Informationen:

Julian Weber, M.Sc.
Verarbeitungstechnik
Institut für Verbundwerkstoffe GmbH
Erwin-Schrödinger-Str. 58
67663 Kaiserslautern
Telefon: +49 631 2017 437
E-Mail: julian.weber@ivw.uni-kl.de

Abbildung 1: Druckkalottensegment, hergestellt im Thermoformverfahren

Abbildung 2: Schematische Darstellung des im OSFIT-Projekt zu entwickelnden One-Shot Verfahrens