Nachhaltiger Leichtbau über den Wolken

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Neues Konzept für die Herstellung von Fensterrahmen in Flugzeugrumpfschalen

Die Luftfahrtindustrie hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 "Netto-Null" Kohlenstoffemissionen zu erreichen (Zero-Emission-Aircraft). Dieses ambitionierte Vorhaben ist mit den gegenwärtigen Flugzeugtechnologien jedoch noch nicht umsetzbar. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Entwicklung und Implementierung alternativer Antriebssysteme sowie alternativer Energiequellen unabdingbar. Zusätzlich werden innovative Ansätze benötigt, um die CO2-Emissionen zukünftiger Flugzeuge signifikant zu reduzieren. Dies betrifft nicht nur die Emissionen, die primär durch den Bau des Flugzeugs verursacht werden. Auch die Förderung der Kreislaufwirtschaft und die Verwendung von Rezyklaten spielen eine wichtige Rolle.

Im Projekt HESTIA werden mehrere dieser Herausforderungen adressiert. Erstens wird die Leermasse eines Flugzeugs durch innovativen Leichtbau reduziert, um die betrieblichen Emissionen während der Nutzung des Flugzeugs zu verringern. Zweitens wird der Einsatz von rezyklierten Kohlenstofffasern untersucht, um die Emissionen bei der Herstellung des Flugzeugrumpfs zu senken. Das Konzept soll anhand einer Fensterumgebung einer Flugzeughülle verifiziert werden, vgl. Abbildung 1.

Um die Besonderheiten der rezyklierten Kohlenstofffasern hervorzuheben, wird in Abbildung 2 ein Vergleich zwischen neuen Kohlenstofffasern (vCF, virgin Carbon Fiber) und rezyklierten Kohlenstofffasern (rCF, recycled Carbon Fiber) nach dem Ablegen auf einer gekrümmten Bahn dargestellt. Das konventionelle Tape besitzt im Vergleich zum rCF-Tape keine Plastizität. Die extrem steifen Kohlenstofffasern können nicht in Faserrichtung gedehnt, sondern nur durch lokales Ausbeulen gestaucht werden. Dies führt zu einer ungenügenden Qualität der Preform bzw. zur Prozesslimitierung auf gerade Ablegepfade.

Neben den Aspekten der Nachhaltigkeit werden somit materialseitig neue Vorteile bei der Verwendung von rCF ausgenutzt und erschlossen. Denn die genannten Nachteile treten bei der Verwendung von rCF nicht in gleichem Maße auf. Hier können die Kohlenstofffasern mit einer Länge von 50 - 80 mm in begrenztem Umfang und bei korrekter Prozessführung aneinander abgleiten und dadurch, unter Berücksichtigung der Dickenabnahme, faltenfreie Kurvenpfade bilden. Dieser Vorteil wird sich besonders an den ovalen Fenstern eines Flugzeugs zeigen, da hierdurch die Verstärkungsfasern lastpfadgerecht ausgerichtet werden können, ohne die genannten Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Bei der Herstellung der rCF-Tapes werden mehrere hybride Garne aus orientierten Kohlefaserstücken und reinen Polymerfilamenten in einer am IVW entwickelten Umform- und Verstreckungsanlage zu einem rCF-Tape konsolidiert. Das IVW übernimmt auch die Herstellung der Tape-Preform. Hier stehen verschiedene Wärmequellen, Freiheitsgrade und eine Verlegefläche von bis zu 3500 mm x 1500 mm bei einer prozesstechnisch möglichen Prozessgeschwindigkeit von bis zu 4 m/s zur Verfügung.

Der Umform- und Umspritzungsprozess findet an der hauseigenen Spritzgießmaschine „ENGEL Victory 1560/400“ statt. Diese ist mit mehreren pyrometergeregelten Infrarotöfen (vertikal wie horizontal öffnend) und einem Bestückungsroboter ausgestattet. Die Spritzgussmasse bietet neben der Verstärkung und Funktionalisierung auch die Möglichkeit, kürzere Faserlängen durch einen erneuten Recycling- und Granulierungsschritt einzusetzen.

Parallel zum Aufbau der Prozesskette werden umfassende werkstoffliche Prüfungen durchgeführt. Dies geschieht mithilfe von kleineren Prüfkörpern sowie mit dem Fensterrahmendemonstrator am Projektende. Begleitend wird ein Finite-Elemente-Modell der durchzuführenden Prüfungen für ein Materialmodel entwickelt, welches mit den Ergebnissen der experimentellen Prüfungen verglichen wird. Ziel ist die Validierung der entwickelten Bauweise, des Materialmodels und der Verarbeitungsprozesse.

Zusammengefasst führen folgende im Projekt eingeplanten Maßnahmen zu einer wesentlichen Verbesserung der Nachhaltigkeit:

  • Der Einsatz von Recyclingfasern führt zum Wegfall des Energiebedarfs, der zur Herstellung von Neufasern notwendig wäre
  • Die Verwendung thermoplastischer FKV erlaubt eine energieeffiziente Herstellung, zudem sind sie recyclingfähig
  • Die Verwendung isothermer Prozesse zur Herstellung der Komponenten führt zu einer Steigerung der Energieeffizienz
  • Erhöhte Material- und Ressourceneffizienz durch leichtbauoptimierte Konstruktion und geringem Materialverschnitt
  • Der Einsatz von Großserienprozessen führt zu Kostenreduktion

Das Projekt wird in Kooperation mit Airbus Operations GmbH, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V., Airbus Aerostructures GmbH und Albany Engineered Composites GmbH durchgeführt. Förderkennzeichen: 20W2203E

 

M.Sc.

Alexander Nuhn

Wiss. Mitarbeiter Molding & Joining Technologies