Hochleistungs-SMC mit Kohlenstofffasern – Digitalisierung, Charakterisierung und Modellierung

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Durch die Verringerung des Gewichts von Bauteilen und den Einsatz von ressourcenschonenden Produktionsmethoden soll die CO2-Bilanz in der Automobil-, Nutzfahrzeug- und der Luftfahrtindustrie reduziert werden. Der Einsatz von Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV) trägt durch hohe spezifische Steifigkeiten und maßgeschneiderte Bauteileigenschaften zur Erreichung der gesetzten Ziele bei. Gerade bei FKV sind lokale Materialeigenschaften, wie z. B. die Zusammensetzung des Harz- bzw. Matrixsystems, der Porengehalt oder die Faserverteilung, von immenser Bedeutung für die strukturellen Eigenschaften eines fertigen Bauteils. Die lokalen Materialeigenschaften werden grundlegend durch die Verarbeitungsprozesse bei der Herstellung von Bauteilen beeinflusst. Aus diesem Grund ist ein tieferes Verständnis für die Prozessabläufe und das Materialverhalten notwendig. Am Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) werden für kohlenstofffaserverstärkte Sheet Molding Compounds (C-SMC), einer duroplastischen Fließpressmasse, Methoden gezeigt, die zum Aufbau dieses Verständnisses führen. Beginnend mit der Erfassung der Faserverteilung während der Produktion des C-SMC-Halbzeugs, durchläuft der Prozess die Charakterisierung des Materialverhaltens während des Fließpressvorgangs und die Implementierung der gewonnenen Erkenntnisse in eine Prozesssimulation des Fließpressens. Ziel ist die Vorhersage der finalen Bauteileigenschaften.


Digitalisierung der Faserorientierung

In einer Standardproduktionslinie für SMC-Halbzeuge werden Kohlenstofffaserfilamente durch ein Schneidwerk zugeschnitten und anschließend auf eine harzgetränkte Trägerfolie aufgestreut. Durch Einstellen der Schnittlänge und der Drehzahl bestimmt dieser Vorgang maßgeblich die Faserverteilung innerhalb des Halbzeugs und damit das spätere Kompaktions- und Fließverhalten während des Fließpressens. Zur Erfassung der Faserorientierung wird am IVW ein optisches Bilderfassungssystem, die sogenannte Polarisationsbildgebung, eingesetzt. Hierbei wird die polarisierende Eigenschaft der Oberfläche von Kohlenstofffasern auf einfallendes unpolarisiertes Licht ausgenutzt. Eine Polarisationskamera erfasst das reflektierte polarisierte Licht und ein folgender Digitalisierungsprozess interpretiert die Faserorientierung in den erzeugten Rohdaten. Um einen klaren, ebenen Blick auf die aufgestreuten Fasern zu gewährleisten, wird die Polarisationskamera direkt hinter dem Schneidwerk positioniert. Die Kamera erstellt Aufnahmen in definierten Zeitintervallen und erzeugt so einen Bildstapel. Diese Aufnahmen werden zu einem kontinuierlichen Gesamtbild der Halbzeugrolle zusammengefügt. Hierbei entsteht ein zweidimensionales (2D) Abbild der Oberflächenfaserorientierung. Um auch Dickeninformationen zu erstellen kann die Kamera für eine vollständige dreidimensionale (3D) Visualisierung auch direkt auf den Streubereich unterhalb des Schneidwerks gerichtet werden. So gelingt eine Erfassung aller Rovingzuschnitte bei Erstkontakt mit der harzgetränkten Trägerfolie. Im Digitalisierungsprozess der Bilddaten ist es dann möglich, die Faserorientierung schichtweise zu bestimmen. Es entsteht ein vollständiges digitales 3D-Abbild der Faserorientierung innerhalb der Halbzeugrolle.


Material- und Prozesscharakterisierung

Die finalen strukturellen Bauteileigenschaften sind abhängig von lokalen Materialeigenschaften, wie z. B. Faserausrichtung, Fasergehalt, Lufteinschlüsse und Bindenähte. Bestimmt werden diese lokalen Eigenschaften bereits während der Verarbeitung des C-SMCs im Fließpressen. Daher wird am IVW eine Charakterisierung des Materialverhaltens und der Prozesseigenschaften durch ein Pressrheometer durchgeführt. Ein Pressrheometer ist im Wesentlichen ein einfaches ebenes Presswerkzeug mit offenen oder geschlossenen beheizten Werkzeugplatten. Durch Schließen der Werkzeugplatten wird eine Kompaktierung und ein Fließen der in Grundfläche und Lagenanzahl vordefinierten C-SMC-Einlage initialisiert. Am IVW kommt ein offenes, kreisrundes Rheometer zum Einsatz. Dieser Aufbau ermöglicht ein ungehindertes biaxiales Fließen und bietet die Möglichkeit, den Versuch in zwei Versuchsanordnungen durchzuführen. In der sogenannten „Constant area“-Konfiguration ist die Probenfläche gleich oder größer als die Fläche der Rheometerplatten. Dadurch bleibt die verpresste Probenfläche während des Versuchs konstant und ermöglicht über die aufgenommene Presskraft und die Spalthöhe eine einfache Herleitung des Druckspannungs-Kompaktionsverhaltens und - wenn gewünscht - der Viskosität des Werkstoffs. In der zweiten Konfiguration („Constant mass“) wird eine initiale Probenfläche gewählt, die kleiner ist als die Fläche der Rheometerplatten. Dabei soll während des Versuchs das komplette Probenmaterial zwischen den Rheometerplatten verbleiben. Diese Konfiguration dient hauptsächlich zur Untersuchung der Fließfrontentwicklung und der Evolution der Faserorientierung und damit zur Bewertung der lokalen Anisotropieeigenschaften von C-SMC.

 

Materialmodellierung in der Prozesssimulation

Um die Eigenschaften eines C-SMC mit hoher Faserlänge und hohem Fasergehalt möglichst akkurat mathematisch zu beschreiben, wurde ein User-defined-Materialmodell im expliziten FEM-Solver LS-DYNA® implementiert. Aus den gewonnenen Erkenntnissen der Digitalisierung der Faserorientierung am C-SMC-Halbzeug und der prozessnahen Materialcharakterisierung mithilfe des Pressrheometers können die prozesskritischen Eigenschaften identifiziert und in die mathematischen Beschreibungen des Materialmodells integriert werden. Ein direkter Vergleich der Kraftantwort, Fließfrontentwicklung und Faserverteilung vom simulierten und experimentellen Charakterisierungsversuch ermöglicht die Kalibrierung und Verifizierung des Materialmodells. Basierend auf dem neuen Materialmodell können Prozesssimulationen zur Herstellung von Bauteilen mit komplexen Geometrien durchgeführt werden. So kann das Fließverhalten in der Kavität während des Fließpressens analysiert und die finalen Bauteileigenschaften abgeschätzt werden. Aus den Ergebnissen der Prozesssimulation lassen sich Anpassungen, wie z. B. Prozessgeschwindigkeit, Werkzeugtemperatur und Einlagekonfiguration sowie –position, zur Optimierung des Prozessablaufs ableiten.

 

Danksagung

Dieses Projekt wird vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) im Rahmen des Leistungszentrum Simulations- und Software-basierte Innovation unterstützt.

Kontakt

M.Sc.

Dominic Schommer

Wiss. Mitarbeiter Prozesssimulation

Dr.

Miro Duhovic

Kompetenzfeldleiter Prozesssimulation

Spezielle Expertise: Finite-Elemente-basierte Multiphysik-Simulation komplexer Verbundwerkstoff-Fertigungsprozesse, Material- und Prozesscharakterisierung, Entwicklung von Verbundwerkstoffmodellen

Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3