Faserreibwertbestimmung: Ein Beitrag zur Steigerung von Präzision und Effizienz bei der Herstellung von gewickelten Bauteilen

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Das Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) forscht seit über 30 Jahren im im Bereich der Faserverbundwerkstoffe von der Idee bis zum Bauteil und konnte sich in dieser Zeit auch im Bereich der Faserwickeltechnik ein fundiertes Wissen aneignen. Beim Faserwickeln handelt es sich um ein etabliertes und weit verbreitetes Verfahren zur Herstellung von rotationssymmetrischen Faserverbundbauteilen wie Rohren, Druckbehältern und Wellen. Es hat sich im Laufe der Jahre als äußerst effiziente Methode, zur Herstellung komplexer Strukturen erwiesen. Aufgrund der oft stark gekrümmten Oberflächen, die mit Fasermaterial bewickelt werden müssen, ist die Faseranhaftung auf der Oberfläche von essentieller Bedeutung. Zu geringe Faseranhaftung kann zu einer Verschiebung der Rovings führen, die sich dann nicht mehr auf der vorbestimmten Bahn, sondern in einem undefinierten Bereich des Bauteils befinden, ohne im berechneten Maße zur Gesamtfestigkeit des Bauteils beizutragen. Unter anderem ist deshalb die genaue Kenntnis des Reibungskoeffizienten zwischen Roving und Oberfläche - unabhängig vom spezifischen Wickelprozess - entscheidend für dessen Planung und Steuerung. Eine Fehleinschätzung der Reibungseigenschaften kann im schlimmsten Fall die Qualität des gewickelten Bauteils signifikant verändern. Außerdem kann ein unerwünschtes Verrutschen der Fasern auf dem Bauteil zu Störungen im Prozessablauf führen.

Zu Verschiebungen von Fasern auf gekrümmten Oberflächen kommt es immer dann, wenn der geodätische Pfad verlassen wird und die Anhaftkraft des Rovings nicht ausreicht, um die Faser in Position zu halten. Der geodätische Pfad beschreibt die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf einer Oberfläche. Hier herrscht ein einachsiger Spannungszustand, d.h. Kräfte treten nur entlang der Faserlängsachse auf. Außerhalb des geodätischen Pfades wirken Rückstellkräfte auf die Faser, die ein Verrutschen begünstigen. Eine vereinfachte Skizze des am Roving angreifenden Kräftegleichgewichts sowie die Auswirkungen von zu geringer Anhaftkraft werden in Abbildung 1 dargestellt.

Die exakte Bestimmung des Reibungskoeffizienten zwischen Faser und Oberfläche ist entscheidend für den gesamten Wickelprozess, allerdings eine komplexe Aufgabe, die von vielen Faktoren (Oberflächenbeschaffenheit, Temperatur, Fasertyp, etc.) beeinflusst wird. Daher wurden in der Vergangenheit verschiedene Methoden entwickelt, um den Reibungskoeffizienten zu ermitteln. Eine gängige Methode ist die Capstan-Methode, bei der ein Faserbündel über eine Rolle gelegt und mit einem Gewicht belastet wird. Die resultierenden Kräfte ermöglichen Rückschlüsse auf die Reibungseigenschaften. Durch den spezifischen Aufbau der Messmethode kann jedoch der Reibwert nur entlang der Faser bestimmt werden. Dadurch lassen sich die Erkenntnisse der Messung nur eingeschränkt auf den vorherrschenden Spannungszustand beim Wickelprozess übertragen. Eine andere verbreitete Methode nutzt speziell geformte Wickeldorne, um das Rutschverhalten der Fasern visuell zu erfassen. Dies ermöglicht, das Verhalten sehr prozessnah zu studieren, bietet jedoch durch die visuelle Auswertung nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Automatisierung des Messprozesses. In der Praxis werden weitere Methoden zur Bestimmung des Reibungskoeffizienten eingesetzt, die jedoch alle unterschiedliche Einschränkungen und Nachteile aufweisen.

Um wiederholgenaue und automatisch auswertbare Ergebnisse für die Reibwerte von Fasern zu erhalten, wurde am IVW ein System zur Reibwertermittlung quer zur Faserlängsrichtung entwickelt. Hierdurch ist es möglich, einige der größten Nachteile der gängigen Messmethoden zu umgehen und so wiederholbare und automatisierte Messungen zur Bestimmung des Reibwerts durchzuführen. Dabei können sowohl Materialparameter wie der Fasertyp als auch Prozessparameter wie die Oberflächeneigenschaft zur Ablage variiert und an die gewünschten Gegebenheiten (Faser-Faser-Kontakt, unterschiedliche Abzugswinkel, Temperatur, Alterung, etc.) angepasst werden. Der höchst variable Aufbau bietet somit ein umfassendes Potenzial zur Untersuchung des Reibwerts und dessen Einflussfaktoren. Besonders bei der Herstellung von Wasserstoffdrucktanks und deren speziell geformten Dombereich ist die Kenntnis über den exakten Reibungskoeffizienten von entscheidender Bedeutung, da dieser direkten Einfluss auf die Qualität und Leistung der hergestellten Verbundschale hat. Zur Optimierung des Lagenaufbaus des Drucktanks kann es nötig sein, den geodätischen Pfad zu verlassen. Wird dann ein falscher Wert für den Reibungskoeffizienten eingesetzt, kann dies zu ungleichmäßiger Faserplatzierung führen, was wiederum die mechanischen Eigenschaften des Endprodukts beeinträchtigt. Zusätzlich kann ein korrekter Reibungskoeffizient die notwendigen Transferwege zwischen Lagen hoher und niedriger Wickelwinkel auf das unbedingt nötige Minimum reduzieren. Daher ist die genaue Charakterisierung und Kontrolle des Reibwerts ein entscheidender Faktor, um sicherzustellen, dass die hergestellten Drucktanks die erforderliche Festigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit aufweisen. Zusätzlich kann durch den dadurch optimierten Lagenaufbau und die Reduzierung der Transferwege kostenintensives Fasermaterial eingespart werden, was zu einem ökonomisch günstigeren Prozess führt.

Abbildung 2 zeigt den Aufbau des Prüfstands in versuchsbereitem Zustand mit eingespannter Faser und einem charakteristischen Messergebnis für die Reibwertmessung eines C-Faser-Towpregs. Im Messverlauf ist deutlich der Kraftanstieg beim Aufbau der Faserhaftkraft zu erkennen. Nach Überschreiten der Haftkraft folgt ein scharfer Abfall der gemessenen Kraft. Diese geht im Nachgang dann in einen Gleitreibungsverlauf über.

Mit Hilfe der Versuchsergebnisse kann der Einfluss von Temperatur, Alterung, Oberflächenbeschaffenheit, etc. auf die Anhaftkraft des Rovings auf einer definierten Oberfläche ermittelt werden. Durch den Transfer der Ergebnisse in den praktischen Wickelprozess wird dieser hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses und der Bauteilperformance weiter optimiert. Dadurch kann die lastpfadgerechte Auslegung von z.B. Streben, Rohren oder (Wasserstoff-)Drucktanks passgenau auf die spezifischen Hafteigenschaften des Fasermaterials angepasst werden. Ein Verrutschen der Fasern und die damit verbundene Reduzierung der Bauteilperformance wird somit vermieden. Zudem können durch genaue Kenntnis des Reibwerts die für die Bauteilfestigkeit unnötigen Transferwege innerhalb von gewickelten Bauteilen auf das absolut nötige Mindestmaß reduziert werden. Das spart sowohl Fasermaterial als auch Gewicht ein.

Kontakt:

Dipl.-Ing. Benedikt Bergmann
Roving- & Taperverarbeitung
Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe GmbH
Erwin-Schrödinger-Str. 58
67663 Kaiserslautern
E-Mail: benedikt.bergmann@ivw.uni-kl.de
Telefon: +49 631 2017 304

Abbildung 1: Faserverschiebung durch zu geringe Anhaftkraft (links); vereinfachtes Kräftegleichgewicht auf Wickeloberfläche (rechts)

Abbildung 2: Prüfaufbau im versuchsbereiten Zustand mit eingespannter Faser (oben); Ergebnis einer Versuchsreihe von vier Versuchen inkl. Referenzmessung (unten)